Anspannung – Entspannung: der Einsatz der Vagusbremse

Durch das Wissen über die körpereigene „Vagusbremse“ erlangen wir auf schnellem Wege die Kraft, uns selbst zu regulieren. So können wir viele Situationen, die wir als kräftezehrend empfinden, leichter nehmen und eine Art spielerische Neugier entwickeln, statt mit Wut oder Rückzug zu reagieren. Wir erkennen, dass wir einen Einfluss darauf nehmen können, wie unser Nervensystem agiert und halten somit einen Schlüssel zu mehr Freude und Leichtigkeit in der Hand.

Kurzvorstellung: der Vagusnerv

Der Vagusnerv bildet den parasympathischen Teil des autonomen Nervensystems und besitzt zwei Stränge, den ventralen und den dorsalen, welche den Körper mit vielen Verästelungen durchziehen. Vagus steht im Lateinischen für Wandern. Der Vagusnerv ist daher treffend bezeichnet. Sein Name bringt die vielen Abzweigungen und Weisen, wie sie durch den Körper wandern zum Ausdruck. Das komplexe Nervenbündel beginnt seine Reise im Hirnstamm, von dem es zu mehreren Bereichen im Körper reist, einschließlich der Lungen, des Herzens und der Unterleibsorgane.

Der ventrale Vagusnerv ist für die Entspannung des Nervensystems zuständig und befindet sich in ständigem Wechsel mit dem Sympathikus, der für die Anspannung verantwortlich ist. Der dorsale Vagusnerv wird aktiviert, wenn der Kampf- oder Fluchtmodus aus dem Sympathikus keinen Erfolg erzielt und unser Nervensystem auf Notstand umschaltet. Hier befindet man sich im sogenannten Totstell-Modus.

Die Vagusbremse

Die Vagusbremse ist jener Pfad des Vagusnervs, der eine Verbindung mit dem Sinusknoten des Herzens herstellt. Diese Verbindung reguliert den Herzrhythmus, indem es den Puls zu einer gesunden Anzahl an Schlägen pro Minute verlangsamt. Ohne diesen regulierenden Einfluss würde unser Herz gefährlich schnell schlagen. Wegen dieser Tätigkeit nannte Stephen Porges diesen Vaguspfad die Vagusbremse.

Die Vagusbremse ist für die Beschleunigung und Verlangsamung des Pulses zuständig, um effektiv auf die Anforderungen im gegebenen Moment zu reagieren. Sie wird durch elektrische Signale und Neurotransmitter entspannt oder wieder aktiviert.

In der Abbildung markiert der rote Pfad die Vagusbremse, während der sympathische Herzimpuls durch den violetten Pfad gekennzeichnet ist. Stellen Sie sich die Energie des roten Pfads als Ebbe und Flut vor, die es der Energie des violetten Pfades ermöglicht zu steigen oder nachzulassen. Entspannen, dann wieder aktiviert sein, entspannen, dann wieder aktiviert sein.

Die Vagusbremse entscheidet, wer gerade aktiver ist: der Sympathikus oder der ventrale Vagusnerv

Die Vagusbremse bietet einen Weg, um die Energie des Sympathikus effektiv zu nutzen. Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass das ventrale Vagussystem aktiv ist und das Sagen hat.
Die Vagusbremse kann man sich wie die Bremsen am Fahrrad vorstellen. Stellen Sie sich vor, dass Sie den Hügel hinunterfahren und Sie möchten ein bisschen schneller fahren. Sie lösen die Bremsen ein wenig und fühlen, wie sich die Räder schneller drehen. Wenn Sie dann langsamer fahren möchten, ziehen Sie die Bremsen an.

Wenn die Vagusbremse sich zu lösen beginnt, reduziert sich die Energie, die durch den ventralen Pfad fließt und die Energie des Sympathikus, die im Hintergrund fließt, beginnt in den Vordergrund zu treten. Nun sind wir bereit für Herausforderungen! Wir gehen motiviert an Aufgaben heran, sind leistungsfähig und zur Not auch kampf- oder fluchtbereit.

Wenn die Vagusbremse wieder angezogen wird, wird der Prozess umgedreht, der Sympathikus rückt in den Hintergrund und der ventrale Vagus kehrt in den Vordergrund zurück. Wir entspannen uns wieder! Die Welt kommt uns nicht mehr ganz so schnell vor. Wir können in liebevolle Verbindung mit uns selbst, anderen Menschen und der Welt gehen.

Ausgleich zwischen Anspannung und Entspannung schaffen

Dieser subtile Ablauf der Vagusbremse geschieht bei jedem Atemzyklus. Bei jedem Einatmen löst sich die Bremse ein wenig, sodass eine kleine Beschleunigung des Herzschlags erfolgen kann, um dann wieder beim Ausatmen angezogen zu werden, sodass der Herzschlag wieder zum langsameren Rhythmus zurückkehrt.

Dies ist der Rhythmus des Lebens. Wir brauchen die Anspannung und die Entspannung in ausgewogenem Wechsel, um uns gut zu fühlen. Mit dem Wissen über die Vagusbremse können wir bereits feststellen, in welchem Modus wir uns befinden und kommen schnell auf Ideen, die uns in ein besseres Gleichgewicht bringen. Problem erkannt, Problem gebannt!

Lediglich im dorsalen Zustand des autonomen Nervensystems fällt es uns schwer, etwas zu verändern – wir sind immobilisiert. Befinden Sie sich schon länger in einem Totstell-Modus, ist es ratsam, sich an Therapeut(inn)en zu wenden, die mit der Polyvagal-Theorie arbeiten. Sobald Sie sich wieder im Sympathikus befinden, können Sie mit voller Kraft voraus gehen und erreichen von dort aus auch wieder den ventralen Zustand.

Positive Gefühle sind kein Zufall, sondern der Erfolg der Vagusbremse

Wenn die Vagusbremse gelöst wird, aber nicht vollkommen frei ist (das wäre dann Kampf- oder Fluchtmodus), haben wir Zugang zu einem Spektrum an Reaktionen, einschließlich des Gefühls der Ruhe, Interaktion, Freude, Aufregung, Leidenschaft, Verspieltheit, Achtsamkeit, Wachsamkeit, Aufmerksamkeit, wobei man sich jederzeit im sicheren Bereich unter der Regulierung des ventralen Vagussystems befindet.

Die Vagusbremse erlaubt es uns schnell zu interagieren oder uns zu entspannen, um je nach Bedarf schnell Energie freizusetzen oder in uns zu ruhen.

Wenn sie gut arbeitet, fördert sie die Flexibilität unseres Reaktionsverhaltens und ermöglicht uns ein müheloses Hin- und Herschalten. Ohne eine effizient arbeitende Vagusbremse verlieren wir unseren Anker im ventralen Vagus-Zustand der Sicherheit und Verbindung. Wir gehen in den Schutzmodus Kampf und Flucht des Sympathikus über. Das bedeutet, wir fühlen uns abgetrennt und reagieren aggressiv oder ängstlich.

Wie kann man die Vagusbremse trainieren?

Die Vagusbremse verkörpert ein System der Regulierung, auf das wir bewusst zugreifen und es einsetzen können. Im ersten Schritt ist es hilfreich, die Vagusbremse wahrzunehmen.
Hier ist eine Übung von Deb Dana, die Sie als Experiment zum Erspüren der Vagusbremse nutzen können.

Vagusbremse wahrnehmen – Übung von Deb Dana

  1. Stellen Sie sich hin, mit einem kleinen Abstand zwischen den Füßen (entweder seitlich oder mit einem Fuß vor dem anderen).
  2. Stellen Sie sich vor, dass ein Fuß im Ventralen verankert ist und der andere im Sympathikus. Ein Fuß steht für Entspannung und der andere für Anspannung. Wählen Sie eine positive Anspannung, wie etwa das
  3. Herangehen an neue Aufgaben.
    Verlagern Sie nun Ihr Gewicht langsam hin und her, von einem Fuß auf den anderen und zurück. Spüren Sie, wie sich Ihre Vagusbremse entspannt und wieder aktiviert und die sympathische Energie dabei reguliert wird.
  4. Experimentieren Sie mit dem Verlust des Kontaktes mit dem Ventralen (heben Sie Ihren ventral vagalen Fuß hoch) und erfahren Sie den Weg zurück (fühlen Sie den Boden durch Aufsetzen Ihres ventral vagalen Fußes wieder). Spielen Sie mit Ihrem Gleichgewichtsgefühl, indem Sie nur noch die Zehen des ventral vagalen Fußes Kontakt mit dem Boden haben lassen und sich so in den Sympathikus hineinbewegen. Stellen Sie sich Momente vor, in denen mehr mobilisierende Energie des Sympathikus benötigt wird und experimentieren Sie mit einer Verlagerung des Gleichgewichts zwischen Ihren Füßen. Nehmen Sie die Menge an Energie des Sympathikus auf, die Sie für eine Situation benötigen, und gehen, nachdem die Situation abgeschlossen ist, zurück in den ventralen Vagus.

Indem wir Bewegung und Vorstellungskraft einsetzen, können wir mit Aktivierung, Entspannung und der erneuten Aktivierung der Vagusbremse experimentieren und erleben, wie dieser Teil des ventralen Vagussystems uns hilft, sicher durch die täglichen Herausforderungen zu navigieren.

Durch kontinuierliches Üben erhöhen wir die Flexibilität unserer Reaktionen und erfahren den Nutzen eines belastbaren autonomen Nervensystems.

Vagusbremse bewusst in den Alltag einbauen

Sobald Sie Ihren Vagusnerv wahrnehmen können, wird Ihnen immer öfter auffallen, in welchem Modus Sie sich befinden. Viele Menschen sind meist stark im Sympathikus unterwegs, wodurch wir dies als Beispiel nehmen. Fällt Ihnen auf, dass Sie zu selten wirklich entspannt sind, können Sie die Tätigkeiten filtern, die Ihren ventralen Vagusnerv aktivieren.

Das kann sich selbst gut zureden sein, in die Natur gehen, Meditation, Zusammensein mit bestimmten Menschen und Tieren oder eine Lieblingsspeise. Spüren Sie, was Sie in einen ventralen Zustand bringt. Spüren Sie, wann Sie Ihren Sympathikus wieder nutzen möchten und erinnern Sie sich daran, aus diesem Zustand wieder ins Ventrale überzugehen, sobald Sie Ihren Sympathikus nicht mehr benötigen. Man lernt nahezu spielerisch, sich selbst zu regulieren.

Auf Instagram und Facebook stellen wir regelmäßig Übungen zur Verfügung, die Ihnen helfen, Ihre Vagusbremse zu ziehen, zu trainieren und vor allem wertzuschätzen.

Um tiefer in das Wissen über das autonome Nervensystem einzusteigen, empfehlen wir Ihnen unseren Onlinekurs Polyvagal-Theorie II: Grundlagen und Übungen“ mit Deb Dana.