Sprache ist ein wesentlicher Bestandteil menschlicher Interaktion und Kommunikation. Sie beeinflusst unsere sozialen Verbindungen und unser emotionales Wohlbefinden. Die Polyvagal-Theorie hilft uns, die Rolle des autonomen Nervensystems bei der Sprachproduktion und -rezeption, bei unserem sprachlich beeinflusstem Verhalten, ebenso wie bei unseren sprachlich »agierenden« Emotionen, Affekten und Gefühlen zu verstehen.

Mehr als ein Werkzeug

Sprache ist nicht nur, wie oben geschrieben, ein Bestandteil oder ein Werkzeug unserer Interaktion und Kommunikation. Sie ist darüber hinaus – in unserer »Sprachlichkeit« (d.h. in der Art und Weise, wie wir mit und durch Sprache kommunizieren) – mit unserem Körper verbunden. Die Verbindung existiert als solche nicht nur über unser sprachproduzierendes Stimmorgan. Sie existiert auch dort, wo unsere sprachwahrnehmenden Sprachzentren im Neocortex des Gehirns über das Limbische System (u.a. die Amygdala) und unser Stammhirn mit dem autonomen Nervensystem auf direktem Wege verbunden sind: Das Stimmorgan anderer Menschen kann uns nerven, aufputschen, ärgern oder ängstigen. Ebenso können wir uns selbst über gesprochene Worte und Sätze in Rage reden und dabei unmittelbar durch unser autonomes Nervensystem mobilisiert werden. Aber wir können uns auch sprachlich beruhigen, durch Flüstern oder einen sanften Tonfall, der im Kontext unserer »Neurozeption« Signale von Unsicherheit oder Gefahr mit Signalen von Sicherheit und Beruhigung moderieren kann: Hier wird der parasympathische Vagus-Nerv angeregt werden und uns helfen, herunterzukommen, aus einem möglichen Alarmzustand herauszufinden. Mit anderen Worten: Die sogenannte »Prosodie« unserer Sprachlichkeit (also der melodische Tonfall unserer sprachlichen Äußerungen) wirkt auf das autonome Nervensystem ein; dies kann beruhigend oder alarmierend, je nach Tonfall, erfolgen – mit den entsprechenden Antworten unseres autonomen Nervensystems (ANS). Umgekehrt kann auch das ANS, wenn wir beispielsweise durch Hitze oder Überanstrengung mobilisiert wurden, dafür sorgen, dass sich unser Tonfall ändert – und wir »aufgeregter« sprechen. In einem solchen Fall würden wir sozusagen unsere Stimme erheben (und vielleicht »laut werden«), obwohl wir uns gar nicht wirklich geärgert haben; wir reagieren auf unseren Körper und sind ärgerlich.

Letzteres ist damit ein Fall, wo Emotionsregulation, Sprache und das autonome Nervensystem auf eine Weise interagieren, wo wir nicht immer sicher sein können, ob wir (in diesem Zusammenspiel) in einem Verhalten mit anderen und uns selbst »ankommen«, welches wir in der Nachbetrachtung noch gutheißen würden.

Sprache wirkt also als wahrgenommene ebenso wie als selbst hergestellte auf unmittelbar körperlich verbundene Weise. Sie ist kein irgendwie evolutionär »auch-noch-dazugekommenes« Werkzeug unserer sozialen Ver-anlagung als Säugetiere, sondern ein co-regulierendes Co-Organ unser Hauptorgane der Wahrnehmung und Kommunikation. 

Alleskönner der Kognition und Abwehrsystem

Sprache kann nicht nur kommunizieren und dabei über Tonfall, Ausdruck, emotionale Ebenen der Bedeutung u. a. auch co-regulierend wirksam sein. Sie kann Geschichten erfinden, Lügen oder Halbwahrheiten erzählen, spielerisch und ernst sprechen, andere überzeugen oder manipulieren wollen, als Sprach-handlung (z.B. durch Verbote) soziale Ordnung herstellen und vieles andere mehr. Sie ist ein kognitiver Alleskönner – und scheitert dabei dennoch sehr oft an ihren eigenen Möglichkeiten. Wir sind überfordert. Unser Körper schlägt Alarm (z.B. indem wir, auch sprachlich kämpfend und schreiend, in einen »Fight-Flight«-Modus geraten), wenn Sprache und ihre multifunktionellen Ebenen der Kommunikation uns nur noch verunsichern und »alarmiert« zurücklassen: Denn was gesagt wird, war nicht immer so gemeint. Und was laut ertönt, signalisiert unter Umständen auch deutlich zu viel der Gefahr. Was emotional verbindend wirken soll, kommt uns vielleicht manipulierend vor – und bewirkt, dass wir uns zurückziehen. Worte und ihre kontextuell schier unendlichen Bedeutungsebenen können uns in einen Irrgarten schicken, in dem wir nur noch verängstigt umher schauen, welche Abbiegung uns in einen als »sicher« empfundenen Ausgang der Kommunikation schicken kann.

Das führt dann schlechtestenfalls dazu, dass wir unsere eigenen Worte und Sätze nur noch als Abwehr formulieren. Letztlich sagen wir anderen, unmittelbar oder mittelbar: „Hey, ich will das alles nicht hören, was du sagst. Ich fühle etwas anders, und das ist Unsicherheit und Gefahr“. Vielleicht verstummen wir vollends. Oder wir setzen Sprache selbstverletzend ein, sei es in suggestiven Tonfällen, sei es in überzogenen Sprachbildern, sei es durch unregulierten Einsatz unseres eigenen Stimmorgans. Emotionen, Sprache und körperliches Empfinden befinden sich dann nicht mehr in einem sicheren Selbst-Konzept – und schon gar nicht mehr in einem sicherem Kontakt zu anderen.

Heilsame Melodien unserer Sprachlichkeit  

Wir können also durch unsere eigene Sprachlichkeit überfordert sein. Das führt dazu, dass wir unsere Sprachlichkeit nicht mehr als entspannte Ausdrucksform unserer Körperlichkeit erleben: Wir erleben uns sprechend-unverbunden, fühlen uns nicht gehört, reden uns um »Kopf-und-Kragen«, verlieren uns schlechter-dings in Selbstgesprächen oder quälenden Gedanken. Sprache hat sich aus ihrer heilsamen Funktion, unser Selbst an uns selbst (sprachlich und körperlich) fühlbar und erfahrbar zu machen, in ein selbst-quälerisches Überlastungs-geschehen verwandelt.

Heilsam können hier nur Melodien und Tonfälle unserer Sprachlichkeit sein, mit denen wir es gelernt haben, die Signale unseres körperlichen Empfindens und unserer Neurozeption zu lesen; dabei suchen und finden wir »Übersetzungen« (unserer gegenseitig kommunizierten Sprachlichkeit), die helfen sollten, Worte als Verbindungen zu formulieren, und sie auch als solche zu hören – vielleicht auch dann, wenn wir den Tonfall des Gegenübers gerade nicht als besonders »sicher« erleben.

Dafür müssen wir keine Spezialist:innen in gewaltfreier Kommunikation werden oder uns durch eine allzu erhöhte Achtsamkeit im sprachlichen Ausdruck weiterhin selbst sprachlich überfordern. Was wir brauchen, ist eine Stück für Stück und entspannt erlernte Fähigkeit, uns selbst in und mit der »Sprache« – innerhalb und außerhalb von uns (intero- und exterozeptiv) wahrzunehmen. Wir können lernen, Sprache als Einladung zur Co-Regulation zu hören, wie beschrieben auch dann, wenn andere in ihrer Sprachlichkeit dysreguliert oder hoch emotional unterwegs sind. Das ist natürlicherweise nicht immer leicht. Aber es kann helfen, Bedeutungen und Geschichten, die wir in den sprachlichen Mitteilungen anderer Menschen hören und lesen, zunächst einmal als Ausdruck einer Sehnsucht nach sozialer Verbindung und Co-Regulation aufzufassen – statt als konfrontierende und allzu bedeutungsschwere Mitteilungen.

Im folgenden Blog soll es um konkretere Beispiele gehen, auf welche Weisen unsere Sprache und unsere (individuelle) Sprachlichkeit im Umgang mit Sprache co- oder dysregulierend auf uns einwirken kann. Dabei wird auch mehr über die neuronale Verankerung unserer Sprachzentren in verschiedenen Gehirnarealen und die entsprechenden Verbindungen zum autonomen Nervensystem zu erfahren sein.

Michel Ackermann