1. Bewusstsein: Wie unser Nervensystem unser Selbst-Erleben formt
Hast du dich schon einmal gefragt, wie du weißt, dass du du selbst bist? Dass du fühlst, denkst und dich in der Welt bewegst?
Unser Bewusstsein erscheint uns selbstverständlich, – doch was steckt eigentlich dahinter? Mit diesen Fragen steigt die Graphic Novel in das Thema Polyvagal-Theorie ein, – nicht ohne Grund! Die Polyvagal-Theorie (PVT) und ihre Beschreibung in der Graphic Novel »Über das Herz zur Polyvagal-Theorie” geben uns spannende Antworten.
Unser Körper als Wahrnehmungsorgan
Wir erleben uns selbst nicht nur durch Gedanken, sondern vor allem durch den Körper. Die Wissenschaft nennt dieses Zusammenspiel von Körper, Nervensystem und Selbstwahrnehmung Embodiment.
Stell dir zum Beispiel einmal vor, du stehst auf einer wackeligen Hängebrücke: Dein Herz rast, deine Muskeln spannen sich an, dein Atem wird flacher, – und dein Körper „weiß“ lange vor deinem Verstand, dass hier etwas herausfordernd ist – das ist ein unbewusstes Erleben, das in der PVT Neurozeption genannt wird (dazu mehr in Blog 3 dieser Reihe). Auf welche Weise aber führt dieses körperliche Erleben zu Bewusstsein? Hier kommt das autonome Nervensystem ins Spiel.
Das autonome Nervensystem beeinflusst unser Bewusstsein und unsere Selbstwahrnehmung
Unser autonomes Nervensystem (ANS) beeinflusst durch seine Signale an das Gehirn, ob wir uns aktiviert und sicher oder angespannt bis hin zu bedroht fühlen. Es beeinflusst also, auf welche Weisen wir uns selbst spüren: Sind wir entspannt und sicher, fühlen wir uns lebendig und klar. Sind wir im »Stressmodus«, engen sich unsere Wahrnehmung und unser Bewusstsein ein. Wir „funktionieren“ eher, als dass wir wirklich im Austausch mit anderen und der Umwelt (er)leben.
Warum Bewusstsein körperlich ist
Die Polyvagal-Theorie zeigt, dass unser Bewusstsein eben nicht nur ein Produkt des Gehirns ist, sondern im ganzen Körper entsteht. Unser Herzschlag, unsere Atmung und unsere Muskelspannung, sie senden fortlaufend Signale an unser Gehirn. Diese sogenannten interozeptiven Signale unterstützen ein Empfinden von „Ich bin da“.
Doch warum erleben wir uns mehr durch den Körper, wo wir doch intuitiv annehmen, dass unser „Ich“ vor allem durch unser Denken existiert?
Nun, unser Gehirn weiß nicht von selbst, dass wir da sind. Es empfängt diese Information aus dem Körper. Die Philosophie hat lange über das berühmte „Ich denke, also bin ich“ (Descartes) gestritten, doch die Neurowissenschaften zeigen: Ein Mensch kann denken, ohne sich wirklich verkörpert zu fühlen. Bei Dissoziation oder starken Stresszuständen fühlen sich Menschen „losgelöst“ von ihrem Körper – als würden sie von außen auf sich selbst schauen, ein »traumatischer» Zustand, der zu einer Verunsicherung des eigenen Selbstgefühls, des eigenen Bewusstseins führen kann. Denn die verkörperte Erfahrung, das als sicher empfundene und aktivierende Embodiment bleibt als Unterstützung und »Basis« für unsere Selbstwahrnehmung aus, – was zu Erfahrungen von Getrennt-Sein und Verlorenheit oder einer Zersplitterung von bewussten Wahrnehmungen führen kann.
Wir könnten allgemein sagen: Unser autonomes Nervensystem »erdet« uns also in der Realität. Es sendet über Atmung, Herzschlag und Muskelspannung u.a. Signale, die unserem Gehirn sagen: „Ja, du bist hier. Du existierst.“ Diese körperlichen Rückmeldungen laufen schneller ab als bewusste Gedanken und sind fundamental für unsere Selbstwahrnehmung und unser Bewusstsein. Beide verändern sich, durch Bewegung, Atmung oder Berührung. Sie geben unserem Gehirn die Bestätigung: Ich bin da.
Doch wie genau führt Körperwahrnehmung zu Bewusstsein?
Hier spielt die Interozeption eine Schlüsselrolle (mehr dazu in Blog 3 und 5). Unser Körper sendet kontinuierlich Signale über den Zustand unserer Organe, Muskeln und des Nervensystems an das Gehirn. Je klarer diese Signale sind, desto mehr fühlen wir uns als zusammenhängendes, präsentes Wesen. Das bedeutet: Bewusstsein von uns selbst – also eine Mischung aus Bewusstsein und Selbstwahrnehmung – entsteht erst, wenn wir unsere körperlichen Empfindungen sinnvoll interpretieren können. Ein Herzschlag allein macht uns nicht bewusst, dass wir existieren. Doch wenn unser Gehirn diesen Herzschlag als mein Herzschlag erkennt, dann wird er zu einem Bestandteil unseres Selbstgefühls.
Das autonome Nervensystem (ANS) spielt dabei eine zentrale Rolle. Es reguliert nicht nur lebenswichtige Prozesse wie Herzschlag und Atmung, sondern beeinflusst auch, wie sicher oder bedroht wir uns fühlen. Ist das ANS im Gleichgewicht – zum Beispiel durch eine gesunde Aktivität des sog. ventralen Vagus – fühlen wir uns mit-uns-selbst verbunden. Wir nehmen uns als kohärent wahr: als eine Person, die in ihrem Körper »selbstbewusst« anwesend ist. Gerät das ANS jedoch in einen Überlebensmodus, z. B. durch Stress, Trauma oder Überforderung, kann das Bewusstsein zwar aktiv bleiben, aber die verkörperte Selbstwahrnehmung wird gestört. Dann fühlen wir uns fremd, abgeschnitten oder innerlich „leer“.
Spielerisch in die Selbstwahrnehmung eintauchen
Die Graphic Novel “Über das Herz zur Polyvagal-Theorie” macht all diese wirklich komplexen Zusammenhänge greifbar. In lebendigen Bildern und Geschichten erlebst du, wie sich unser autonomes Nervensystem auf unsere Wahrnehmung auswirkt – und wie wir durch bewusste Körpererfahrungen unser Bewusstsein von uns selbst verändern können.
Lust auf mehr?
In unserem nächsten Blogbeitrag geht es um das Herz – nicht nur als Organ, sondern als Brücke zwischen Nervensystem, Emotionen und sozialer Verbindung. Bleib an diesen Themen dran, es lohnt sich!
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